Es ist ein herrlicher Sonnenaufgang in Mumbai am 10. März 2024 als ich um 7 Uhr auf der Dachterrasse die Yogamatte ausrolle. Ein bisschen dehnen, ein bisschen kräftigen und ein paar Asanas – den Körper vorbereiten auf 15 Stunden reisen – zurück nach Germany.
Mit erhöhter Atemfrequenz, der Puls im Hals hämmernd, denke ich an den Morgen und die Gedanken die ich hatte. Inzwischen stehe ich in Dubai beim Lost&Found Counter in Terminal C. Hinter mir liegen 20 Minuten gestreckter Galopp über den internationalen Flughafen. Beim Sicherheitscheck war mir aufgefallen, dass ich das Mobiltelefon nicht bei mir hatte – Verwunderung, Überraschung und Unverständnis waren mir ins Gesicht geschrieben. „What to do?“ fragen die Menschen oft in Indien, wenn sie keinen Ausweg sehen und das Leben dahin fließt, wo es fließt. Einfach geschehen lassen und das Handy abschreiben ist nicht meins. „Challenge youself everywhere“ hatte mir vor 18 Jahren ein Taiwanesse nach dem Rennen auf das damals höchste Gebäude der Welt gesagt. Ok – nochmal den KOMPLETTEN Rucksack durchsuchen – es ist definitv nicht da. Dann die Gedanken sortieren, gleichzeitig den Rucksack zumachen und LOS. Im Sauseschritt geht es durch die Sicherheitskontrolle zurück und dann im 4:00er Schnitt (15km/h) zum Gate.
Dort stehen alle Leuchten auf ROT
– die automatischen Türen sind zu – und niemand ist da, der mir die 100 m zum Flieger ermöglichen oder im Flieger schauen könnte – puhhhh.
Ein Offizier kommt vorbei und ich frage ihn, was ich machen kann. Er rät mir zum Lost and Found Counter zu gehen – der war dann am anderen Ende des Flughafens. Mit jeder Minute im Sauseschritt merke ich mehr, dass ich die letzten 7 Wochen im Meditationszentrum, die Laufschuhe in der Ecke stehengelassen habe. 10-12h pro Tag saß ich auf dem Boden. Während der Geist selbst in dieser Situation spürbar ruhig bleibt, hat sich die Unruhe in den Herzmuskel verschoben; er rast und pumpt.
Hinter einem Pfosten versteckt, ganz klein, ist der Eingang zur special „Force“. Sie retten Handys und Reisepässe – 30 -50 Pässe und 200-300 Handys – jeden Tag. Es ist die Unaufmerksamkeit der Menschen, welche diese essenziellen Reiseutensilien vergessen lässt – irgendwie menschlich – jeder kennt es. Aber war nicht das Ziel der Meditation jeden Moment aufmerksam zu sein? – Zum Glück weiß der freundliche Mann am Counter nicht, was ich die letzten Monate gemacht habe.
Er nimmt die Daten auf und checkt den Boardingpass. Zum Glück habe ich diesen bei mir.
Nachdem alle Daten klar sind, werde ich auf die Wartebank geschickt. 45 Minuten Intervallpause. Ich frage nach Toilette und Wasserspender – quasi eine Trinkpause.
Nach Ablauf der Galgenfrist gehe ich zurück zum Counter und der Mann hebt den Daumen – mein Blutdruck und die Anspannung fallen ab. Die Formalitäten sind schnell geklärt und im Schlenderschritt geht’s zum Gate. Auf dem Weg dahin erinnere ich mich, was ich morgens dachte bevor ich auf die Dachterrasse ging: Heute gehe ich nicht rennen.
Wann und warum hast du dich das letzte Mal gefragt: Für was ist das gut, wenn alles aus einem guten Grund passiert?
1) Ein Gefühl von Niederlage steigt in mir auf, als ich merke, dass ich etwas vergessen habe, weil ich unaufmerksam war. Eine Zäsur für den Meditierenden.
2) Ich fragte mich: Musste ich die Laufeinheit vom Morgen nachholen, oder habe ich mich morgens geschont, weil ich intuitiv den Körper für die Session in Dubai vorbereitet habe? Darauf habe ich selbst keine Antwort – aber letztendlich ist es auch egal.
3) Das Wichtigste ist das Erlebnis: Vor 18 Jahren habe ich beim Rückflug aus Taiwan das Handy auf der Toilette vergessen – ich wusste genau den Platz – und ein Flughafen Mitarbeiter hatte es geholt. 24h später war es in Frankfurt. Mit dem Erlebnis von heute wächst mein Vertrauen in die Organisationskraft der Lost&Found Einrichtungen der Flughafen und Airlines enorm. Man kümmert sich und in Dubai sorgt 24/7 ein Team von 13 Personen dafür, dass die vergessenen Pässe und Handys innerhalb von 15-20 Minuten aus den Fliegern geholt werden. Was für ein Service.
4) Das Handy zu vergessen ist das eine – solange man exakt weiß, wo und wie man es vergessen hat. Wer zusätzlich maximalen Einsatz zeigt, keine Zweifel daran lässt, dass man jeden Weg geht/rennt, um es zurückzuholen, öffnet bisher unsichtbare Türen. Menschen, die man noch nie gesehen hat, helfen das Problem zu beseitigen – ein Resultat der Unaufmerksamkeit. Meine Dankbarkeit für diese Menschen und Einrichtungen ist ein wunderschönes Gefühl.